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Tagungsbericht: Mishima! Worldwide Impact and Multi-Cultural Roots


In der Zeit vom 18. bis 20. März 2010 veranstaltete das Japanisch Deutsche Zentrum Berlin in Zusammenarbeit mit der Berlin-Brandenburg Akademie der Wissenschaften und der Freien Universität Berlin das Symposium Mishima! Worldwide Impact and Multi-Cultural Roots. Durch den säulengetragenen Konferenzsaal, der stark an einen griechischen Tempelhof erinnerte, bot die Berlin-Brandenburg Akademie der Wissenschaften am Berliner Gendarmenmarkt eine würdige Kulisse für die Eröffnungsveranstaltung. Den Auftakt der Konferenz bildeten die Willkommensworte von Herrn Wilhelm Voßkamp, eines Mitgliedes der Berlin-Brandenburg Akademie, des Generalssekretärs des Japanisch Deutschen Zentrums Berlin, Shimizu Yoichi (清水陽一) und des japanischen Botschafters in Deutschland Shin´yo Takahiro (神余 隆博).

Im Anschluss führte die Literaturwissenschaftlerin und Japanologin Prof. Dr. Irmela Hijiya-Kirschnereit, eine international ausgewiesene Expertin das Phänomen Mishima Yukio betreffend, mit ihrem Vortrag „Mishima´s Afterlife in Global Arts, Literature and Film“ in die Thematik der Tagung ein und begrüßte die zahlreichen nationalen und internationalen Fachgrößen, die an der Tagung teilnahmen. Hijiya-Kirschnereit wies darauf hin, dass Mishima der japanische Autor sei, dessen Literatur und Person gerade in jüngerer Zeit wieder ein enormes Interesse bei einer „neuen Generation Japaner“ erführe.

Mishima Yukio, dessen Arbeiten verschiedenste Genres von Literatur, aber ebenso Theater, Kino und Photografie verbindet, agierte durch und mit seinen Werken als Bindeglied zwischen einer kulturellen Elite und Subkulturen. Er schaffte es mit seiner Literatur und Kunst so gegensätzlich scheinende Gruppen wie Homosexuelle und Rechtsextreme für sich zu vereinnahmen. So führte Hijiya-Kirschnereits Vortrag hin zu einigen wichtigen Fragestellungen des Kongresses: Verwandelt sich Mishima Yukio, der lange Zeit als politisch reaktionär bezeichnet wurde, in ein neues Modell für eine wie auch immer geartete „Japanese Coolness“? Warum wird Mishima von zahlreichen Künstlern unterschiedlichster Kunstgattungen als Quelle der Inspiration herangezogen? Woher bezog Mishima seine eigenen Eingebungen und was für eine Bedeutung genießt er heute, vierzig Jahre nach seinem spektakulären Tod?

Im Anschluss folgten die Grußworte von Donald Keene, einem engen Mishima-Vertrauten und Professor für japanische Literatur, der eigens für diese Konferenz aus New York angereist war. Ebenso kamen der russische Autor Boris Akunin, der Photograph Hosoe Eikô (細江英公), der kroatische Dramaturg Ivica Buljan und der junge Schriftsteller und Akutagawa Literaturpreisgewinner Hirano Keiichrô (平野 啓一郎) zu Wort. Sie alle erörterten, teilweise humorvoll und in sehr persönlichen Worten, teilweise auf verstörende Art und Weise den Widerhall der Kunst und des Lebenswerkes von Mishima Yukio auf eine gegenwärtige, globale Kulturlandschaft.

Solchermaßen eingestimmt durfte man auf den zweiten Teil der Veranstaltung gespannt sein, welcher am darauffolgenden Tag im Henry-Ford Bau der Freien Universität im Berliner Stadtteil Dahlem stattfand. Nachdem die Dekanin der Fakultät für Geschichts- und Kulturwissenschaften, die Japanologin Prof. Dr. Blechinger-Talcott, die Anwesenden an der FU - Berlin willkommen geheißen hatte, begannen die wissenschaftlichen Vorträge.
 

In einem ersten Vortrag arbeitet der Autor Miura Masashi Bezüge zu den radikalen Sentenzen in Mishimas Werken heraus. Sein Referat mit dem Titel „Is Terrorism beautyful“ beschreibt, dass Mishima Yukio in seinen literarischen Werken ähnlich agiere wie der russische Schriftsteller Dostojevsky. Gewisse Konzepte und Vorstellungen von Terrorismus seien in Mishimas Literatur nachweisbar, welche ebenso in Dostojewkys Schriften aufzufinden wären, so Masashi. Die beiden sich anschließenden Vorträge beleuchteten Mishimas Einfluss auf das zeitgenössische Theater und die bildenden Künste, wie Malerei und Photografie, wozu unter anderem eine moderne Interpretation des Mishima Theaterstückes „Madame de Sade“ herangezogen wurde.

Im zweiten Teil des ersten Konferenztages erörterten Irmela Hijiya-Kirschnereit, der mongolische Literaturwissenschaftler Terenguto Aitoru sowie der Koreaner Hong Yun-Pyo in ihren Vorträgen Mishimas Schaffen als Einflussgröße auf eine internationale, sowie eine sich auf den asiatischen und im speziellen den koreanischen Raum begrenzende Literaturszene.

Der Literaturwissenschaftler Donald Keene, die Japanologin Rebecca Mak, sowie Prof. David Goodman vom Institut für ostasiatische Sprachen und Kulturen der Universität Illinois, erörterten Fragestellungen zum dramatischen Aspekt in Mishimas Werken. Hierzu zeigte Donald Keene Querverweise zum französischen Dramatiker  Jean Baptiste Racine, einem der bedeutensten Autoren der französischen Klassik, auf.
Rebecca Mak analysierte in ihrem Beitrag die zweigliedrige Struktur des Romans Eirei no koe (Voices of a heroic dead). Einerseits ein moderner Text, andererseits ein klassisches Nô – Stück legte Mak dar, dass in dem Roman weitaus komplexere Bedeutungsebenen nachweisbar wären, als dies bei der sich bisher üblichen, rein auf nationalistische Sentenzen beschränkenden Interpretation der Fall sei.
Goodman ging der Frage nach, wie der Begriff „evil“ ( warui) der in Mishimas Theaterstücken eine bedeutende Rolle einnimmt, zu interpretieren wäre. Hier müsse eine Fragestellung lauten, welche Funktion dieses „teuflische“ als rhetorische Figur z.B. in Mishimas Roman „Mein Freund Hitler“ (わが友ヒットラ Waga tomo Hittora) inne hat.

Der dritte und letzte Tag widmete sich auf einer eher philosophischen Ebene dem Autor Mishima Yukio. Er wurde in verschiedenen Kontexten beleuchtet und u.a. der Einfluss der Literatur des Fin-de-Siecle des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts auf seine Literatur untersucht. Desweiteren wurde durch den Frankfurter Literaturwissenschaftler Gerhard Bierwirth die Frage aufgeworfen, ob eine Mystifizierung des Literaten Mishima Yukio stattfinde, diese überhaupt gerechtfertig sei. Hinsichtlich einer solchen Problemstellung, wäre somit auch zu überprüfuen, ob der Einfluss Mishimas auf andere Autoren der Zeit nicht überbewertet würde. Die Literaturwissenschaftlerin Prof. Noriko Thunman aus Göteburg und Prof. Alan Tansman vom Departement of East Asian Languges  and Cultures der Universität Berkley schlossen mit ihren Beiträgen über Mishimas französische psychologische Novelle, sowie Mishimas Faszination für den Faschismus den dritten Tagungstag ab.

Die leider ein wenig zu kurze abschließende Diskussion unter der Leitung von Irmela Hijiya-Kirschnereit bündelte alle gehörten Thesen und getroffenen Feststellungen der Tagung und führte zu abschließenden Eröterungen. Hiermit endeten dann auch drei anregende wie arbeitsreiche Tage, sowie die Diskussion über Mishimas Quellen der Inspiration, sein Einfluss und die internationalen Elemente seiner Kunst. Sein Ruhm ist teilweise gewiss seinem spektakulär inszenierten Leben und seinem detailliert geplanten Seppuku (rituelle Selbstentleibung) in den Räumlichkeiten der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte geschuldet. So hat Mishima Yukio schon zu Lebzeiten dafür Sorge getragen, einen Mythos um sich zu kreieren. Er inszenierte und pflegte bewusst ein Image, weswegen sich irritierende Bilder des Autors vor sein Werk schieben, z. B. „die unzweifelhaft von starkem Narzissmus kündenden martialischen oder von sadomasochistischer Erotik durchtränkten Fotografien“ (Hijiya-Kirschnereit 2010, in: Botschaft von Japan, Neues aus Japan 63/3).

Eine interessante Fragestellung wäre es daher auch, ob und warum Mishimas Lebensweise und seine propagierten Ansichten jungen Japanern heute als nacheifernswert erscheinen. Zudem liefert die Frage, inwiefern Mishima Yukio heute für eine Japanese Coolness steht, die Hijiya-Kirschnereit eingangs in den Raum stellte, weiterhin Diskussionsstoff. Cool Japan als Wortschöpfung des amerikanischen Journalisten Douglas McGray deklariert die weltweite erfolgreiche Ausbreitung japanischer Populärkulturgüter und weckt Assoziationen an J-Pop, Manga, Anime und Kirschblüten. Reiht sich Mishima Yukio im 21. Jahrhundert also ein in die Gesellschaft von Hello Kitty und Doraemon, die im Frühjahr 2008 zu Kulturbotschaftern Japans ernannt wurden? Ihre Aufgabe ist es, in Japans Namen, weltweit soviele Freundschaften wie möglich zu knüpfen (Nippon Aktuell Ausgabe Herbst 2008: 6). Inwiefern steht Mishima Yukio 40 Jahre nach seinem Tod heute für eine Japanese Coolness, die gar als „Kulturexport-Produkt“ genutzt werden kann? Diese Fragestellung eingehender zu betrachten, könnte in Zukunft weitere interessante Aspekte um das Phänomen Mishima Yukio aber auch die Frage der kulturellen Globalisierung allgemein liefern. 

Verfasst von S. Hofstetter B.A. (M.A. Japanologie)

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